Von Telegrafie zu GMDSS

Von der Telegrafie bis zum GMDSS

Dem deutschen Physiker Heinrich Hertz gelang es 1887/1888 elektromagnetische Wellen experimentell mit Funken zu erzeugen, auszusenden und zu empfangen. Dies war die Geburtsstunde der Funktechnik.

Der Russe Alexander S. Popov, baute einen Empfänger, der atmosphärische Störungen akustisch wiedergeben konnte. Er nannte die Einrichtung ‚Gewitterankünder‘ (so lautet wohl eine passende Übersetzung). Dies war die Geburtsstunde der Empfangsantenne im Jahre 1895. Danach gelang ihm eine drahtlose Nachrichtenübertragung zwischen zwei Gebäuden. 1900 richtete er eine reguläre Funkverbindung zwischen zwei Inseln ein, die auch in einem Seenotfall genutzt wurde.

Und dann gehört noch der französische Forscher Eduard Branly zu den Pionieren der drahtlosen Telegraphie. Er verbesserte den Hertzschen Empfänger zu einem sogenannten ‚Kohärer‘, der, simpel gesagt, elektomagnetische Wellen anzeigen konnte (1890). Dieses Gerät wurde zur Ansteuerung eines Morseschreibers benutzt, der im Rhythmus der Morsezeichen ausgesendete und wieder empfangene Hochfrequenz aufschrieb.

Der Amerikaner Samuel Morse entwickelte den ersten brauchbaren Maschinentelegraphen, der Zickzack-Zeichen auf ein Papierband schrieb. Später entwickelte sein Mitarbeiter Alfred Vail ein Zeichensystem mit Punkten und Strichen. Dieses Morsealphabet wurde 1838-44 als Telegrafie Code eingeführt. Es wurde bei der Telegrafie via Kabelverbindungen, der drahtlosen Funktelegraphie und auch bei Lichtsignalen mit Scheinwerfern weltweit eingesetzt. Jeder Funker hatte den Morsecode nicht nur zu lernen, sondern musste ihn hörend interpretieren können.

Der Italiener Guglielmo Marconi begann 1895 mit seinen Versuchen in der Funkentelegraphie, die er ab 1896 in England erfolgreich fortsetzen konnte. Er verband den Funkengeber mit einem Draht und hatte so die erste Sendeantenne gebaut. 1897 gelang ihm die erste drahtlose Zeichenübertragung über 14,5 km über den Bristol-Kanal. Im gleichen Jahr begann er verschiedene optische Signalstellen an der englischen Küste in Küstenfunkstellen umzuwandeln. 1901 gelang ihm die Überbrückung des Nordatlantiks mit Morsezeichen.

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Dampfer "PHILADELPHIA"

Marconi war kein Erfinder, sondern Praktiker. Er benutzte bestehende Techniken, entwickelte sie weiter und ließ sie patentieren (z.B. den Sender von Hertz, die Antenne von Popov und den Kohärer von Branly). Er war sehr geschäftstüchtig und gründete seine eigene Firma zur Vermarktung der Funkapparate. 

 

Marconi hat der drahtlosen Telegraphie weltweit zum Durchbruch verholfen.1898 hat Marconi eine Verbindung vom Leuchtturm ‘South Foreland‘ zum Feuerschiff ‚East Goodwin‘ hergestellt. 1899 hatte er dann den englischen Kanal funktelegraphisch überbrückt. 1901 wurde zwischen der Station Poldhu in England und St.Johns in Neufundland/Nordamerika die ersten telegraphischen Nachrichten über den Atlantik ausgetauscht. Ein Jahr später folgten Schiff-Land Versuche von dem Dampfer ‚Philadelphia‘ nach Poldhu.

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SS Kaiser Wilhelm der Große
Über eine Entfernung von 3.378 km konnten Nachrichten im Nordatlantik empfangen und gesendet werden. Auch in Deutschland wurde die drahtlose Telegraphie von Adolf H.Slaby mit der AEG und Karl F. Braun mit Siemens vorangetrieben. 1904 gründeten sie gemeinsam die Firma Telefunken.
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SS Deutschland

Erstes deutsches Schiff mit einer Marconi Funkanlage war der Schnelldampfer ‚Kaiser Wilhelm der Große‘ vom Norddeutschen Lloyd (NDL) bereits im Jahre 1900. Die Hapag folgte 1901 mit dem Schnelldampfer ‚Deutschland‘. 

Dann wurde über Kabel die Reederei benachrichtigt.Mit zu den ersten englischen Schiffen mit einer Funkanalage gehörte der Dampfer ‚Campania‘ der Cunard Reederei.

1905 hatte das Schiff während seiner Fahrt nach New York konstant Funkverbindung zu Landstationen in Europa bzw. Amerika. Das bedeutete, dass ein Schiff auf dem Ozean nicht mehr allein war, es war jederzeit erreichbar und konnte sich auch selbst melden. 

Die drahtlose Telegraphie zu/von/unter Schiffen machte vor allem bei Unglücken Schlagzeilen in der Presse. Die tapferen Funker wurden gefeiert, die Telegraphie gelobt.

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Dampfer Campania
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General-Admiral Apraksin wird von Yermak freigeschleppt
Als 1899 das russische Schlachtschiff ‚General-Admiral Apraksin‘ im finnischen Golf im Eis festsaß, wurde Popov’s Funkverbindung zwischen der Insel Gotland und Kotka genutzt. Mit Hilfe des angeforderten Eisbrechers ‚Yermak‘ konnten Schiff und alle Personen gerettet werden.

Im Jahre 1910 wurde erstmals ein Kriminalfall mit Hilfe der drahtlosen Telegraphie gelöst. Der englische Arzt Dr. Crippen hatte seine Ehefrau umgebracht und im Keller des eigenen Hauses verscharrt. Mit seiner Freundin, die als Mann verkleidet war, flüchtete er auf dem kanadischen Dampfer ‚Montrose‘ über den Atlantik. Doch der Kapitän schöpfte Verdacht und schickte einen Funkspruch nach England. 

Ein Inspektor von Scotland Yard fuhr mit der schnelleren RMS ‚Laurentic‘ hinterher. Die ‚Laurentic‘ holte die ‚Montrose‘ vor der kanadischen Küste ein und Dr. Crippen wurde in Montreal in Handschellen von Bord geholt. Später wurde er zum Tode verurteilt, seine Freundin freigesprochen.

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SS Montrose
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RMS Laurentic

Im April 1912 kollidierte der White Star Liner ‚Titanic‘ mit einem Eisberg und versank im Nordatlantik. Der Funkoffizier der ‚Titanic‘ sandte ‚CQD‘ und ‚SOS‘ Rufe in den Äther, die vom Dampfer ‚Carpathia‘ gehört wurden. Die ‚Carpathia‘ eilte zur Unglücksstelle und konnte 712 Menschen retten.

RMS Titanic
RMS TITANIC
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RMS Carpathia

Auf dem Bulkcarrier ‚Californian‘ schlief der Funkoffizier, das Schiff fuhr im Abstand von 5-8 Seemeilen vorbei.

Grob gesagt war diese Tatsache der Auslöser für die Einführung des Auto Alarm Gerätes. Rund 1.500 Menschen starben in den eisigen Fluten. Die Funker an den Marconi-Anlagen durften keine Telegramme von anderen, nicht Marconi-Stationen aufnehmen. Das führte zum verstärkten Aufbau von Telefunken Schiffs- und Küstenfunkstellen. Danach entbrannte der Kampf um Marktanteile in aller Härte. Endlose Patentprozesse zwischen der Marconi Company und Telefunken waren die Folge.

1911 wurde die DEBEG gegründet, die Deutsche Betriebsgesellschaft für drahtlose Telegraphie. Unter dem Dach der DEBEG wurde ab 1914 der Konkurrenzkampf beendet. Durch Lizenzabkommen betreute die DEBEG Marconi wie Telefunken Stationen.

Unter Marconi-Funkern wurde seit 1904 das Signal CQD als Notsignal benutzt. Im englischen ausgesprochen C(see)Q(kyou), seek you, suche Dich; das D steht für Distress, dringend, Bedrängnis. Viel später hat man in dies Signal ‚Come Quick Danger‘ hineininterpretiert.

Zu der damaligen Zeit herrschte eine Konkurrenzsituation zwischen den Herstellern Marconi und Telefunken. So war es den Schiffsfunkern nicht erlaubt, Funk- und sogar Notrufe von Schiffen mit dem jeweils anderen System anzunehmen!

Deswegen fand 1906 die 1. Internationale Funkkonferenz in Berlin statt. Dort wurde das Signal SOS als Notsignal beschlossen. Dabei wurde SOS als ein Signal ohne Buchstabenpausen gesendet, so war es als Notsignal leichter herauszuhören. Ebenfalls später wurde es u.a. mit ‚Save our Souls‘ oder ‘Save our Ship‘  interpretiert.

Im Sprechfunk wurde MAYDAY als Notsignal benutzt.

Das kommerzielle Interesse speziell von Marconi lag im Vertrieb seiner Funkanlagen. Hier richtete er seinen Fokus sehr stark auf die Ausrüstung der jeweiligen Kriegsmarinen. Die britische Flotte war die erste mit ausschließlich Marconi-Anlagen, während die deutsche kaiserliche Marine erst einmal Versuche unternahm, dann aber auf die inzwischen auf dem Markt erschienenen Telefunken-Anlagen setzte. Schon damals ging es sehr um den Preis. Die k.u.k Marine Österreichs entschied sich deshalb (“weil Marconis Preis überhöht war“) für Telefunken-Anlagen. Die Ausbildung des Funkpersonals erfolgte in eigenen Fernmeldeschulen. Die Plätze waren immer sehr begehrt, versprachen sie doch einen Kriegsschiffeinsatz und ein Leben an Bord.

Einige Anwendungen des Seefunks:

  • Senden des Zeitsignals vom Greenwich Null-Meridian zur Abstimmung des Bordchronometers, die Greenwich-Zeit wird für die Errechnung des Längenmeridians benötigt.
  • Weltweiter Wetterdienst in Klartext und mit Wetterkarten, Warnmeldungen, u.a. Eismeldedienst
  • Telegramme, Fernschreiben, Funkgespräche für Passagiere und Besatzung.
  • Nachrichten für Seefahrer, Informationen und Änderungen in Fahrtgebieten.
  • Bordzeitung, Kurzfassung von Neuigkeiten einer Landzeitung, z.B. der Times oder des Hamburger Abendblattes.
  • Ärztliche Beratung ‚Medico‘ auf See, besonders für Schiffe ohne Arzt.
  • Standortbestimmung via Funkpeiler, Consol, Decca, LORAN (Long Range), Omega, Transit/GPS (Global Position System via Satellit).
  • Kollisionsschutz via RADAR (Radio Detecting and Ranging).
  • AMVER (Automated Mutual Assistance Vessel Rescue), Meldedienst der US Coast Guard; d.h. jedes Schiff, welches einen Ozean überquert, meldet sich bei der US Coast Guard an/ab, diese überwacht die Passage und veranlasst gegebenenfalls Hilfeleistung.

Einige weitere Daten:

  • Ab 1914 Entwicklung des Röhrensenders, der sich dann nach dem 1. Weltkrieg verbreitete.
  • In den 20er Jahren Beginn des Kurzwellenfunks, die Heavyside Schicht in der Stratosphäre reflektiert die Kurzwellen. Verbesserungen bei der Funktelefonie.
  • 1925 weltweit 115.000 Funkstellen auf Schiffen und an Land.
  • 1934 erhalten die Schiffe neue Rufzeichen, die beiden ersten Stellen weisen auf die Nationalität hin.
  • Ab den 50er Jahren Ultra-Kurzwelle (UKW) im Einsatz, Sprechfunk, Kanal 16 (156,800 MHz) wird Anrufkanal.
  • Ab 1965 Funkfernschreibverkehr, Telex und Faxgeräte für Wetterkarten
  • Ab 1971 wird die Seenot-Funk-Bake EPIRB (Emergency Position Indicating Radio Beacon) eingesetzt. Dies sowohl auf 2182 kHz als auch später als Satelliten-EPIRB.

Satelliten beenden den traditionellen Funkdienst:

  • 1976 wurde ein betriebsfähiges Satellitensystem für den Seefunk vorgestellt.
  • Seit 1979 arbeitet die INMARSAT (INternationale MARitime SATellite Organization), in der fast alle Schifffahrtsnationen Mitglieder sind. Mit diesem System braucht man keinen Funkoffizier mehr, der Nachrichtenaustausch geht über Satellit zu allen möglichen Datenempfangseinrichtungen wie Telefon, Telex, Modem, etc. …
  • Seit 1991 ist das Satelliten-Seenot-System GMDSS (Global Maritime Distress and Safety System) im Einsatz. Der Schiffsoffizier kann per Knopfdruck einen Seenotfall melden. Das klassische Seenotfunkverfahren eingeleitet durch ‘SOS‘, entfällt.
  • Seit dem 1.2.1999 ist GMDSS für alle seegehenden Schiffe vorgeschrieben.
  • Mitte der 90er Jahre werden die Küstenfunkstellen, in Deutschland u.a. Kiel Radio/DAO, Norddeich Radio/DAN, Rügen Radio/DHS aufgelöst. Man braucht keine Vermittlungsstelle für den Seefunkverkehr mehr, man braucht kein Morsealphabet mehr.
  • Das Berufsbild des Funkoffiziers ist Geschichte.